Geburtstage sollen schön sein. Persönlich, herzlich & emotional. In der Praxis sind sie aber oft einfach nur eins – Unangenehm. Ob als Gastgeber:in oder Gratulant:in – Geburtstage bringen Menschen in soziale Situationen, in die sie nie freiwillig geraten wären. Und das jedes Jahr aufs Neue. Von Gewohnheit ist keine Spur zu finden.
Die Pflicht zur Freude
Geburtstag haben heißt: Man muss gut drauf sein. Unbedingt und um jeden Preis.
Ob man will oder nicht, spielt dabei keine Rolle – denn „Heute ist dein Tag!“ Und der hat schließlich gut zu laufen. Die Erwartung, an einem bestimmten Tag emotional präsent, gut gelaunt und aufnahmefähig zu sein, ist nichts anderes als Zwang mit Torte.
Wer einfach seine Ruhe will, wird schräg angesehen. Wer nicht feiern möchte, „hat wohl ein Problem mit sich selbst“. Geburtstage sind nicht individuell – sie sind kollektiv genormt.
Happy Birthday – das peinlichste Lied der Welt
Es gibt wenige Momente im Leben, die sounangenehm sind wie das kollektive Geburtstagsständchen. Alle stehen im Kreis, singen krumm und schief, die Person im Mittelpunkt lächelt dabei verkrampft – und wünscht sich, kurzzeitig das Bewusstsein zu verlieren. Toll!
Es ist wie ein Theaterstück ohne Proben: Niemand will es spielen, alle machen trotzdem mit – weil es eben dazugehört.#
Geschenkedruck und Konsumzwang
Geburtstage wären nur halb so schlimm, wenn es da nicht noch das Thema Geschenke gäbe. Was schenken? Wie viel? Persönlich oder praktisch? Die Angst, zu wenig, zu viel oder das Falsche zu schenken, hat Karrieren zerstört und Freundschaften vergiftet. Wer nichts will, gilt als schwierig. Wer Geld will, als herzlos. Also was wünscht man sich, wenn man sich nichts wünscht? Und dann die Klassiker: Gutscheine, Pralinen, Bücher mit Titeln wie „Jetzt bist du alt – na und?“ Hauptsache, irgendwas mit Schleife – der Inhalt ist zweitrangig.
Im Büro wird’s nicht besser
Kaum etwas symbolisiert die kollektive Heuchelei so gut wie Bürogeburtstage.
Man bringt Kuchen mit – für sich selbst. Man bedankt sich – dafür, dass andere mitessen. Und dann kommt noch die Mail oder die Teams Benachrichtigung mit dem Betreff: „Kuchen in der Küche“, als wäre das ein Ausdruck echter Zuneigung und nicht schlicht ein interner Sozialvertrag. Die Gratulation per Handschlag zwischen Tür und Kaffeemaschine gehört dabei ebenso zum Ritual wie die innerliche Frage: „Wie alt ist er jetzt nochmal?“. Tja, wer kennt die Antwort?


Soziale Hierarchien und Gratulationspanik
Wer wann wem wie gratuliert – das ist ein soziales Minenfeld. Instagram-Story oder WhatsApp? Anruf oder Text? Zu spät ist unhöflich, zu früh ist aufdringlich, zu gar nicht ist tödlich. Und wehe, man vergisst einen Geburtstag – dann ist das keine Lappalie, sondern ein Beziehungsdelikt.
Geburtstage sind keine persönlichen Daten mehr, sie sind sozial codierte Prüfungen, die Jahr um Jahr wiederholt werden müssen.
Altern, aber bitte nicht drüber reden
Das eigentliche Thema – das Älterwerden – wird dabei weitgehend verdrängt. Geburtstage feiern das Lebensjahr, nicht das Leben. Fragen wie „Bin ich da, wo ich sein will?“ oder „Wofür war das letzte Jahr gut?“ werden überdeckt mit Girlanden und Prosecco. „Bleib so, wie du bist!“, was ist aber, wenn ich das gar nicht will?
Feiern statt Reflektieren – das ist das Motto. Und wer sich trotzdem fragt, was das alles eigentlich soll, bekommt einen Ratgeber geschenkt mit dem Titel: „Jeder Tag ist ein Geschenk“. Ja – aber manche will man das eben auch umtauschen.
Geburtstage sind keine Pflichtveranstaltung
Geburtstage sind okay – wenn man sie freiwillig feiert. Aber in ihrer aktuellen Form sind sie oft Pflichtübungen mit sorgloser Muffin-Garantie, soziale Inszenierungen unter Erwartungsdruck. Und wer sie nicht liebt, ist nicht undankbar – sondern einfach ehrlich. Nicht jeder hat Lust auf Luftballons, Torte, Kerzen und Small Talk über das neue Alter.
Manche möchten einfach nur in Ruhe altern – ohne Kalorien, Kalendersprüche oder Kollegenkuchen.