Weihnachten ist das heilige Pflichtprogramm des Westens. Ein Event, das so sehr nach Liebe, Harmonie und Besinnlichkeit riechen soll – aber eigentlich nur nach überwürztem Glühwein, Familienstress und Amazon-Retouren schmeckt. Wer Weihnachten hasst, gilt als Grinch. Wer es kritisch sieht, als Kulturbanause. Zeit, diese Heuchelei auseinanderzunehmen.
Die Inszenierung beginnt bereits im Oktober
Kaum fallen die ersten Blätter, übernehmen Mariah Carey und Zimtduft den Einzelhandel. Toll! Lebkuchen im September, Lichterketten im Oktober, nervliche Überreizung ab November. Der Weihnachtsmodus lässt sich nicht abschalten – er kommt wie ein Algorithmus mit Glöckchen und Kaufdruck. Und das Jahr für Jahr. Weihnachten ist längst kein Fest mehr – es ist eine wirtschaftlich getriebene Dauerschleife mit Lametta. Wer da nicht mitspielt, wird behandelt, als wolle er der Menschheit das Licht stehlen.



Konsum mit roter Schleife
Was als Fest der Nächstenliebe begann, endet im Paketzentrum der Gefühle. Kaufen, schenken, zurückgeben – repeat and repeat. Die Frage „Was wünschst du dir?“ ist keine Geste, sondern ein Großprojekt. Und wehe, jemand kommt auf die Idee, nichts zu schenken – dann ist die Beziehung gleich „angespannt“.
Geschenke sind nicht mehr Überraschungen, sondern gesellschaftliche Erwartungshaltung mit Trackingnummer von DHL und Co. Liebe wird in Verpackungsgröße gemessen – und oft genauso schnell entsorgt.
Familienidylle auf Abruf
Nichts belastet so zuverlässig wie die Vorstellung eines harmonischen Weihnachtsabends. Die Realität? Generationenkonflikte, Küchenkrisen, passiv-aggressive Gespräche zwischen dem fünften und sechsten Glas Wein.
Weihnachten zwingt Menschen an einen Tisch, die sich das restliche Jahr oft genug bewusst meiden. Und dann wird plötzlich Festlichkeit verlangt. Das ist nicht Frieden – das ist eine Sozialsimulation unter absolutem Stress.
Essen bis zur Endstufe
Weihnachten ist auch ein kulinarisches Trainingslager. Drei Tage deftig essen, dann klagen. Alles mit Soße, alles mit Beilagen, alles zu viel. Dann kommt das Ende der Geschichte, die Selbstanklage: „Im neuen Jahr mach ich mehr Sport.“ Spoiler: Macht natürlich niemand.
Gänsebraten, Kartoffelsalat, Plätzchen, Marzipan – jedes Gericht ein Klassiker, jedes Mal dieselbe Diskussion: „Warum eigentlich jedes Jahr das Gleiche?“ Weil Veränderung doch noch stressiger wäre, wenn man es ehrlich betrachtet.
Der religiöse Teil? Das ist nur Dekoration.
Für viele ist Weihnachten längst entkoppelt vom Ursprung. Die Krippe wird als Vintage-Deko aufgestellt, während daneben Alexa „Driving Home for Christmas“ spielt. Die Mehrheit feiert nicht mehr den Messias, sondern den Lieferstatus. Und das ist auch okay – aber dann sollte man aufhören, so zu tun, als sei das Ganze noch ein Fest der Werte.



Alleinsein an Weihnachten – das stille Tabu
Wer an Weihnachten allein ist, gilt als tragische Figur. Einsamkeit wird am 24. Dezember medial dramatisiert wie eine Naturkatastrophe. Dabei kann Alleinsein genau das sein, was viele brauchen: Ruhe, Kontrolle, kein Theater. Aber das passt nicht ins Skript.
Denn Weihnachten darf alles sein – außer individuell sein.
Weihnachten ist planbar – aber selten erträglich
Weihnachten ist nicht schlecht. Aber es ist überladen, übertrieben und überschätzt. Wer es genießt – schön und gut so. Aber wer sich jedes Jahr aufs Neue fragt, wann genau das eigentlich besinnlich sein soll, ist nicht falsch, sondern wach.
Denn das eigentliche Weihnachtswunder wäre: Mal einen Dezember ohne Zwang, Schuldgefühle, Geschenke-Druck und künstliches Lächeln. Und wer das schafft, der darf dann den Baum sogar stehen lassen.